Forschung
In der Deutschen Abteilung vertreten wir einen integrativwissenschaftlichen Ansatz, in dem grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung koordiniert werden. Wir bearbeiten Forschungsfragen, die für die Berufspraxis relevant sind, tragen aber auch zur übersetzungswissenschaftlichen Theorie- und Modellbildung bei. Ein Beispiel: In unseren theoretischen Arbeiten zur Modellierung von Übersetzungsqualität versuchen wir, neues Wissen über die Faktoren zu gewinnen, die die Qualität von Übersetzungen beeinflussen. In einem zweiten Schritt können diese Erkenntnisse zur Optimierung des Workflows von Übersetzungsprojekten fruchtbar gemacht werden.
Wir arbeiten offen an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen wie Linguistik, Arbeitspsychologie oder Betriebswirtschaft. So untersuchen wir aktuell beispielsweise im Bereich der Untertitelungsforschung, welche neuen Kompetenzen Untertitel-ExpertInnen angesichts der Automatisierung von Teilprozessen wie automatische Spracherkennung oder maschinelle Übersetzung mitbringen müssen.
Wir positionieren uns über nationale und internationale Forschungskooperationen und sind breit vernetzt. Mehrere Mitarbeitende der Deutschen Abteilung sind massgeblich an der Herausgabe der übersetzungswissenschaftlichen Fachzeitschrift Parallèles beteiligt.
Es ist uns ein Anliegen, aktuelle Entwicklungen und Bedürfnisse der Praxis in unsere Forschung und Lehre zu integrieren und theoretisch aufzuarbeiten. Unsere AbsolventInnen werden so optimal auf die Anforderungen der verschiedenen Berufe im Bereich des Übersetzens und der mehrsprachigen Kommunikation vorbereitet. Darüber hinaus bieten wir forschungsbasierte Weiterbildungen an, zum Beispiel in Übersetzungsrevision, Untertitelung oder Fachübersetzen.
Lesen Sie mehr über unsere Forschungsaktivitäten in den Interviews mit einigen unserer Forschenden.
Forschende der Deutschen Abteilung im Porträt
Tinka Stössel
Sie sind seit 2021 als wissenschaftliche Assistentin/Doktorandin in der Deutschen Abteilung tätig, kommen aber ursprünglich aus den USA. Wie kommt es, dass Sie in Genf gelandet sind?
Ja, das stimmt. Ich bin gebürtige Texanerin mit deutschen Eltern, die mir das zweisprachige Aufwachsen ermöglicht haben. In meiner (für amerikanische Verhältnisse) kleinen Universitätsstadt konnte ich meine gesamte Schulbildung geniessen bis hin zum Bachelor. Ich bin eigentlich für das Studium nur geblieben, weil mir meine Eltern die Option gaben, entweder dort zu studieren und ein Auslandssemester in Frankreich machen zu dürfen oder an einer teureren Uni zu studieren ohne Auslandsaufenthalt. Selbstverständlich habe ich mich für den Auslandsaufenthalt entschieden und es nie bereut. Ich bin für 4 Monate nach Paris gezogen und habe für mich eine neue Welt entdeckt. Es klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber ich habe mich in die Stadt und alles drumherum verliebt. Von da an wusste ich, dass ich eines Tages langfristig in einem französischsprachigen Umfeld leben und arbeiten werde. Es hat ein wenig gedauert, da ich nach dem BA erstmal für die Liebe, die Arbeit und den Wunsch, einmal in Deutschland zu leben, nach München gezogen bin. Letztendlich habe ich aber meine jetzige Stelle hier in der Deutschen Abteilung bekommen und erfülle mir gerade meinen Traum im französischsprachigen Genf.
Das ist aber eine schöne Geschichte! Und was hat Sie dazu motiviert, ein Doktorat in Übersetzungswissenschaft anzustreben?
Ich habe noch nie richtig gewusst, was ich genau machen möchte. Ich bin schon immer sowas wie eine Streberin gewesen und war in der Schule sehr gut in Mathe, weshalb meine Eltern immer dachten, ich würde mehr in Richtung Ingenieurwesen gehen. Grundsätzlich kann ich es mir aber nicht vorstellen, mich so sehr in einem Bereich zu spezialisieren, dass ich andere gar nicht kennenlerne. Ich bin sehr neugierig und finde alle Bereiche zu einem bestimmten Grad interessant. Deshalb finde ich Übersetzungswissenschaft so spannend. Man kann Übersetzungskenntnisse in wirklich jedem Bereich anwenden, weil man alles übersetzen kann. Ich arbeite zum Beispiel im Bereich der Untertitelung, was nicht nur Übersetzung umfasst, sondern auch Fragen aus der Film- und Medienwissenschaft. Schon im Master hatte ich mich ein wenig mit der Untertitelung von Netflix-Serien beschäftigt. Dieses Interesse ist schliesslich so gross geworden, dass ich mir vorstellen konnte, mehrere Jahre daran zu forschen. Ich wollte aber auch ein Doktorat machen, weil ich von Natur aus sehr motiviert bin, mich grossen Herausforderungen zu stellen. Nach mehreren Jahren in Teamarbeit – auch in anderen Forschungsprojekten – wollte ich die Möglichkeit haben, ein eigenes Grossprojekt zu leiten und mir die Zeit zu nehmen, mich selbst besser kennen zu lernen. Während eines Doktorats verbringt man (zumindest nach meiner Erfahrung) extrem viel Zeit alleine und lernt so viel über sich selbst und was man braucht, nicht nur auf fachlicher, sondern auch auf persönlicher Ebene, um so eine Arbeit zu erstellen. Es ist ein sehr interessanter Lernprozess und ich bin sehr dankbar, dass mir diese Chance gegeben wurde.
Ich sehe, dass Sie mit viel Herzblut arbeiten. Können Sie uns vielleicht noch genauer erzählen, was Sie erforschen? Sie haben gesagt Untertitel. Wie sieht das genau aus?
Ja, gerne. Also Sie kennen sicherlich die Streamingplattform Netflix. Heutzutage nehmen diese Dienste viel Raum in unserem Leben ein und sind eigentlich nicht mehr wegzudenken. Da immer mehr Sendungen entstehen, würde man denken, dass die Menschen, die diese Sendungen untertiteln, einen hohen Stellenwert haben. Leider ist dies nicht der Fall. Viele leiden unter schlechter Bezahlung und insgesamt suboptimalen Arbeitsbedingungen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist. Gibt es einen bestimmten Grund? Wie sieht der Untertitelungsprozess bei Streamingplattformen überhaupt aus? Welche Faktoren beeinflussen die endgültigen Untertitel? Das sind Fragen, denen ich gerade auf den Grund gehe. Ich möchte wissen, wie genau die Untertitel von Netflix erstellt werden und wie nach Meinung von UntertitlerInnen für die deutsche Sprache kooperative und nachhaltige Arbeitsprozesse aussehen.
Sehr interessant! Und wissen schon, wohin es nach dem Doktorat geht?
*Lacht* Ich denke, die meisten DoktorandInnen zittern ein bisschen, wenn sie das gefragt werden. Ich weiss das nicht so genau. Grundsätzlich muss man sich überlegen, ob man eher in der Forschung bleiben will oder auf den Arbeitsmarkt. Ich habe schon einige Jahre gearbeitet und weiss schon, welche Art von Arbeit ich haben will oder besser gesagt, welche ich nicht haben will. Mir gefällt, dass ich in der Forschung viele Freiheiten geniessen darf, wie die zumeist freie Gestaltung meiner Arbeit und Arbeitszeiten. Nach meinem aktuellen Stand könnte ich mir gut vorstellen, in der Forschung zu bleiben. Man muss aber auch bedenken, dass es nicht viele Stellen in der Forschung gibt, weshalb ich mein Dissertationsthema so gewählt habe, dass ich andere Möglichkeiten habe, z. B. in den Medien. Von dem her steht für mich noch alles offen, aber ich bin mir sicher, dass ich das Richtige für nach dem Doktorat finden werde.
Madeleine Schnierer
Im Juni 2018 haben Sie an der Universität Genf in Übersetzungswissenschaft promoviert – davor waren Sie bereits viele Jahre als freiberufliche Übersetzerin und Revisorin tätig. Wie sind Sie von der Praxis in die Forschung gelangt?
Während meines Übersetzerstudiums an der Universität Innsbruck wurde Übersetzungsrevision weder als Teilbereich noch als eigenes Fach unterrichtet; dies war damals auch an anderen Übersetzungsinstituten noch nicht üblich. Vom Vier-Augen-Prinzip habe ich erst in meiner Berufspraxis erfahren und Revisionsmethoden dann in einer Übersetzungsagentur erlernt. Dabei stellte ich mit den Jahren fest, dass mich das Thema sehr interessiert, und fing an, nach entsprechender Literatur zu suchen. Dabei entdeckte ich, dass sich damals nicht sehr viele WissenschaftlerInnen mit dem Thema beschäftigten, und beschloss, selbst eine Arbeit dazu zu schreiben. Es war dabei von Anfang an klar, dass ich die Berufspraxis, aus der ich ja kam, untersuchen wollte, denn es war gerade diese Verbindung, die mich so gereizt hat: Ich konnte für die empirische Studie zu meiner Dissertation in direkten Kontakt mit vielen Sprachdienstleistenden treten, konnte sie befragen und die Ergebnisse dann in Zusammenhang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen bringen und diskutieren. Meine Dissertation ist mittlerweile als Buch erschienen sowie online Open Access verfügbar und ich hoffe, dass meine Arbeit nun PraktikerInnen Impulse für ihre Tätigkeit geben kann.
In welchen Themenbereichen liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?
Mein Forschungsschwerpunkt liegt hauptsächlich im Bereich der Übersetzungsrevision. Dabei würde ich gerne einige Aspekte aus meiner Doktorarbeit vertiefen, wie beispielsweise den Bereich der Kommunikation zwischen RevisorIn und ÜbersetzerIn oder auch inwieweit Revision eine Übersetzung verbessert und in diesem Zusammenhang, wie Revisionsqualität objektiv bewertet werden kann. Eine weitere aktuelle Frage, die ich gerne untersuchen würde, betrifft die Domäne der Normen. Mich interessiert, welchen Einfluss europäische Normen und ISO-Standards auf die Übersetzungsqualität haben können und in welchem Ausmass Normen in der täglichen Arbeit von Sprachdienstleistenden als Grundlage dienen.
Wie wirken sich die Ergebnisse und Erkenntnisse aus Ihrer Dissertation auf die Lehre aus?
Die Studierenden sind immer auch sehr an Erfahrungswerten aus der Praxis interessiert.So kann ich neben meinen eigenen Erfahrungen aus meinen Jahren als Projektleiterin und freiberufliche Übersetzerin auch über die Ergebnisse aus meiner Dissertation sprechen. Gleichzeitig ist es mir sehr wichtig, meinen Unterricht auf übersetzungswissenschaftlichen Grundlagen aufzubauen. Gerade als RevisorIn braucht man fundierte Argumente, um Korrekturen belegen zu können und dieses Fundament findet sich in der Übersetzungswissenschaft. Im Kurs Traduction et révision bekommt der Teil der Übersetzungsrevision durch die Arbeit an meiner Dissertation nun einen höheren Stellenwert, weil ich nicht nur die Revisionspraxis, sondern auch den theoretischen Hintergrund zur Übersetzungsrevision vermitteln und somit den Studierenden wichtige theoretische Grundlagen mitgeben kann.
Wie bringen Sie Ihre beiden Aufgabenbereiche – Forschung und Lehre – unter einen Hut?
Das war am Anfang noch etwas schwierig, da ich meine Arbeit als Dozentin erst im Herbst 2018 aufgenommen habe, was sehr viel an Kursvorbereitung erforderte. Auch war ich noch damit beschäftigt, meine Dissertation für die Publikation in Buchform aufzubereiten. Dennoch konnte ich in dieser Zeit einen Beitrag zur Thematik der Umsetzung von spezifischen Normen in der täglichen Übersetzungsarbeit verfassen, der im Sammelband Translation Revision and Postediting. Industry Practices and Cognitive Processes bei Routledge erschienen ist. Zurzeit sondiere ich verschiedene Ideen zum Thema Übersetzungsrevision und hoffe, bald ein Forschungsprojekt in diesem Bereich in Angriff nehmen zu können.
Was schätzen Sie an der FTI besonders?
An der FTI herrscht aus meiner Sicht ein hervorragendes Arbeitsklima. Die einzelnen Abteilungen sind zwar administrativ voneinander abgegrenzt, aber es arbeiten die KollegInnen in den verschiedensten Bereichen zusammen. Schon in meiner Zeit als Assistentin habe ich die schöne Erfahrung gemacht, dass sich die AssistentInnen aller Abteilungen gegenseitig unterstützen. Auch ist die Zusammenarbeit mit den ProfessorInnen entspannt und kollegial. Und es sind die MitarbeiterInnen in Administration und Technik immer zur Stelle, wenn man sie braucht. Was ich noch sehr schätze, ist die Offenheit, mit der neuen Ideen und Projekten in Forschung und Lehre begegnet wird. Innerhalb des Studienplans bin ich als Dozentin in der Organisation meiner Kurse inhaltlich wie didaktisch sehr frei. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, damit der Unterricht auch für die Studierenden abwechslungsreich gestaltet werden kann, was die Motivation auf beiden Seiten nur steigert.